Bereich B 2 - Unterstützung für Vielfalt organisieren

Orientierung an ‚Students Services Teams’ (Kanada)

Hier stellt sich die Herausforderung, eine Entkoppelung von Unterstützung und negativ bewerteter Bedürftigkeit einzelner Schüler*innen zu erreichen. Dafür sind Formen von Unterstützung nötig, die über individuelle Zuwendung durch erwachsene Spezialist*innen weit hinausgehen oder wegen drohender Stigmatisierungsprozesse sogar hinter sich lassen, in einem innerschulischen Unterstützungssystem zusammengefasst werden und so die pädagogische Qualität der Schule insgesamt stärken (vgl. HINZ & KÖPFER 2016).

Inklusive Pädagogik braucht schulinterne und schulexterne Unterstützungssysteme. Als Maßstäbe setzendes Beispiel können hier die Strukturen der kanadischen Provinz New Brunswick gelten, eine zweisprachige Provinz im atlantischen Teil von der Größe Bayerns, in der es weder Sonderschulen noch Sonderklassen noch verschiedene Schultypen, sondern lediglich eine horizontale Gliederung des allgemeinen Schulwesens gibt und die unter diesem strukturellen Aspekt als „Nordstern für inklusive Pädagogik“ gelten kann (vgl. HINZ 2006, 2007; vgl. auch PORTER & RICHLER 1991). Dort hat jede Schule ein zweistufiges internes Unterstützungssystem, indem Methods- and Ressource-LehrerInnen (M&R-LehrerInnen) als primäre AnsprechpartnerInnen für jegliche Problem- und Fragestellungen und Students Services Teams zu deren weitergehender Beratung zur Verfügung stehen.

Als M&R-LehrerInnen arbeiten erfolgreiche, erfahrene KlassenlehrerInnen, die nach einer bezirklichen Qualifizierung für eine begrenzte Dauer in eine andere Berufsrolle wechseln – also nicht einer eigenen Berufsgruppe von SonderpädagogInnen vergleichbar. Ihre Aufgabe ist vor allem die Unterstützung von KlassenlehrerInnen bei unterschiedlichsten Fragestellungen, aber auch die Moderation von Problemlösekonferenzen, etwa mit der Methode „Teachers helping Teachers“ (PORTER 1994).

Das Students Services Team tagt wöchentlich zwei Stunden lang. Es besteht aus der Schulleitung, verschiedenen KlassenlehrerInnen, M&R-LehrerInnen, vielleicht einer Sozialarbeiterin, je nach Situation einem Guidance Counsellor, einem Spezialisten zur psychologischen Beratung, etwa bei Mobbing- und Gewaltproblemen, evtl. einer Sprachtherapeutin – und einem Vertreter des Schulamtes, da häufig juristische Fragen tangiert sind. Dieses Team hat üblicherweise eine Tagesordnung mit 20 bis 25 Punkten, von denen manche mit bestimmten SchülerInnen, viele mit allgemeinen Fragestellungen zu tun haben. Da die Beratungen niedrigschwellig und präventiv angelegt sind, kann jeweils kurzfristig flexibel agiert werden. Auf diese Weise kann weitgehend vermieden werden, dass Kinder erst ‚in den Brunnen fallen’ und dann die ‚große Problemanalyse’ mit der ‚ein für alle Mal tragenden Maßnahme’ gefunden werden muss. Ergänzt werden diese innerschulischen Unterstützungssysteme durch ein extrernes „District Students Services Team“, das sich Fragen von übergreifender Tragweite annimmt, sowie einen provinzübergreifenden Unterstützungsdienst, der für Problemsituationen in den Bereichen Hören und Sehen zuständig ist.

Entscheidend für inklusive Qualität ist dabei, dass diese Strukturen nonkategorial angelegt sind, d.h. es gibt keinerlei Zuständigkeiten für bestimmte Schüler*innen, sondern ein flexibles, entspezialisiertes System für unterschiedlichste Problemsituationen und Herausforderungen. Eine intensive Aufarbeitung dieser Strukturen findet sich bei Andreas KÖPFER (2013).

Literatur

HINZ, Andreas (2006): Kanada – ein ‚Nordstern’ in Sachen Inklusion. In: PLATTE, Andrea, SEITZ, Simone & TERFLOTH, Karin (Hrsg.): Inklusive Bildungsprozesse. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 149-158

HINZ, Andreas (2007): Inklusion – Vision und Realität! Herausforderungen in Deutschland und Praxis in Kanada. In: KATZENBACH, Dieter (Hrsg.): Vielfalt braucht Struktur. Heterogenität als Herausforderung für die Schul- und Unterrichtsforschung. Frankfurt am Main: Goethe-Universität, 81-98

HINZ, Andreas & KÖPFER, Andreas (2016): Unterstützung trotz Dekategorisierung? Beispiele für Unterstützung durch Dekategorisierung . In: VHN 85, 36-47

KÖPFER, Andreas (2013): Inclusion in Kanada. Analyse inclusiver Unterrichtsprozesse, Unterstützungsstrukturen und Rollen am Beispiel kanadischer Schulen in den Provinzen New Brunswick, Pronce Edward Island und Québec. Bad Heilnbrunn: Klinkhardt

PORTER, Gordon (1994): Teachers helping Teachers. Problem Solving Teams That Work. Video. Woodstock, NB: Selbstverlag

PORTER, Gordon L. & RICHLER, Diane (Eds.) (1991): Changing Canadian Schools. Perspectives on Disability and Inclusion. North York, Ontario: Roeher Institute